So versagt unser Gesundheitswesen
Das Faszinierende an unserem
Gesundheitssystem ist, dass es 8 von 10 Deutschen an chronischen Krankheiten
leiden und sterben lässt, obwohl wir genau wissen, wie wir diese Krankheiten
verhüten können. Also warum tun wir's nicht?
Als Gesundheitswissenschaftler
arbeite ich seit 15 Jahren an der Beantwortung dieser Frage. Viele meiner
Kollegen warnen mit immer dunkler werdenden Zukunftsvisionen vor einem Tsunami aus
Behandlungs- und Pflegekosten für unsere zunehmend älter, kränker und dementer
werdende Bevölkerung.
Dabei könnten wir das Zeitalter
der chronischen Gesundheit bereits jetzt einläuten. Ein Zeitalter in dem Herzinfarkt, Schlaganfall und viele
Krebsarten ihre Bedeutung in der Sterbestatistik verloren haben werden. So wie
die ansteckenden Krankheiten nach der Einführung der Hygiene. Aber so, wie wir Prävention bislang
machen, funktioniert sie nicht. Die Entscheidungsträger unseres
Gesundheitssystems kämen zum gleichen Schluss, wären sie nicht mit einer
selektiven Blindheit gegenüber unbequemen Fakten geschlagen.
Das Versagen der Prävention
Die Akteure unseres
Gesundheitswesens verweisen gerne auf große staatlich finanzierte Studien, wie
das US amerikanische Diabetes Prevention Program und die Look AHEAD Studie, die
zeigen, wie wirksam simple Lebensstiländerungen für die Prävention der
chronischen Erkrankungen sind. Worüber sie nicht gerne reden ist, wie flüchtig
diese Erfolge sind. Für die meisten Teilnehmer sind anfängliche
Gewichtsverluste spätestens nach 3 bis 4 Jahren wieder "aufgezehrt",
und Risikofaktoren sind wieder auf dem Stand vor Studieneintritt.
Wie kann man behaupten Prävention
funktioniert, wenn das Übergewicht zum Rauchen des 21. Jahrhunderts geworden ist?
Wenn für jeden US Bürger, der 2011 das Rauchen aufgegeben hat, ein anderer
adipös (BMI > 30) wurde? Wenn zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte es
mehr übergewichtige als unterernährte Menschen auf dieser Welt gibt? Deren
Lebensstil aus zu viel Essen und zu wenig Bewegung ist der größte Risikofaktor
für die vermeidbaren kardiometabolen Erkrankungen und ihre klinischen
Endpunkte: Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzversagen.
Wenn also die Änderung des
Gesundheitsverhaltens Krankheit verhindert, was verhindert dann die Änderung
des Gesundheitsverhaltens?
Der Aberglaube an ein willensgesteuertes Gesundheitsverhalten.
Wir alle wissen, dass Übergewicht
und Bewegungsarmut ungesund sind. Trotzdem sind zwei von drei Deutschen
übergewichtig und weniger als jeder fünfte bewegt sich ausreichend. Die
logische Schlussfolgerung: Wenn Sie einen Lebensstil wählen, von dem Sie
wissen, dass er Ihnen Krankheit und vorzeitigen Tod bringt, dann treffen Sie
diese Wahl entweder mit Ihrem freien Willen, oder es ist nicht Ihr freier Wille,
der Ihr Gesundheitsverhalten treibt.
Offensichtlich ist letzteres der
Fall. Wie sonst können wir erklären, dass übergewichtige Kinder ihr Ess- und
Bewegungsverhalten beibehalten, obwohl sie ihren Leidensdruck aus Übergewicht
und Stigmatisierung als genauso schwer empfinden wie ihre krebskranken Altersgenossen den einer Chemotherapie. Wie
sonst können wir erklären, dass adipöse Erwachsene nicht abspecken, obwohl ihre
Aussichten eine akademische Ausbildung, einen Job und einen Geschlechtspartner
zu finden deutlich schlechter sind, als die ihrer normalgewichtigen
Altersgenossen? Wie sonst können wir erklären, dass der Prozentsatz der
Adipösen unter den US Bürgern in den letzten 20 Jahren um 60% gestiegen ist, während
sie im gleichen Zeitraum ihre Ausgaben für Abnehmprodukte auf jährlich 60
Milliarden Dollar verdoppelt haben? Sie alle WOLLEN abnehmen, aber sie schaffen
es nicht. Aus drei Gründen.
Über die Sucht aufs Essen, über entgleiste Hormone und über hyperbolische Verzinsung in unseren Hirnen geht's in meinem nächsten Blogbeitrag. Und bis dahin, schauen Sie sich doch mal an, wie Sie bereits jetzt auf den Weg zur chronischen Gesundheit und guten Figur kommen.
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